Eine Kurzgeschichte im Shadowrun-Universum von Peter Groth
Die Himmelsscheibe von Nebra
Als am vierten Juli 1999 Raubgräber mit Hilfe ihrer Metallsuchgeräte auf die Himmelsscheibe stießen, wussten sie zum einen nicht, was sie fanden. Zum anderen ahnten sie nicht, was für eine Kriminalgeschichte sie damit in Gange setzten.
Als im Februar 2002 die Himmelsscheibe mit Hilfe der Schweizer Polizei und dem Landesarchäologen Dr. Harald Meller sichergestellt werden konnte, schien es ruhiger um die Scheibe zu werden.
Längst umfangreich untersucht, glaubte man, alles herausgefunden zu haben, was man herausfinden konnte.
Dann erwachte die Welt.
Inzwischen hat die Himmelsscheibe zwei Diebstähle hinter sich. Versuchte Diebstähle sind es ein paar mehr.
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Kunsthalle zu Kiel
Heute.
Nebraska schaute sich gelangweilt in der Kunsthalle um. Sie hatte sich nie für Kunst begeistern können. Bilder zu malen war so mittelalterlich. Und was die sogenannten Künstler da auf die Leinwand brachten. Manchmal nur ein paar Farbkleckse und dieser Drek brachte richtig Geld ein.
Über die vermeintliche Kunst der Skulpturen wollte sie lieber gar nicht erst nachdenken. Teilweise vermutete sie, dass da echt kranke Geister am Werk waren und sich Künstler nannten.
Immerhin gab es auch hübsche Skulpturen aus der Antike. Sportliche junge Männer, leicht bekleidet und der Wachmann da hinten sah auch richtig gut aus.
Reiß dich zusammen! schalt sie sich im Geiste. Ein Besucher guckte sie irritiert an. Sie musste laut geschnaubt haben.
Den Wachmann ignorierend, schaute sie sich unauffällig nach den sichtbaren und unsichtbaren Überwachungsmitteln um.
Ihr Cyberauge, dass als solches nicht erkennbar war, scannte die Wände ab und stellte unter anderem auffällige Temperaturunterschiede fest. In ihrem Headmemory speicherte sie diese Informationen ab.
Die AR zeigte nur den üblichen Werbemüll und die Infos zu den Exponaten an.
Sie notierte Fluchtwege, Türen, Schlösser, Pausenräume, Reinigungspersonal- und drohnen, und und und.
Metzger, der Magier der Gruppe, prüfte das Gebäude erst von außen und dann von innen. Er sah zufrieden aus, fand sie.
Eisen-Hans, das wandelnde Kraftpaket und Waffenarsenal lächelte nur müde über die Wachleute.
Über seine seriösen Klamotten lächelte er nicht. Die Jeans war in Ordnung. Das Hemd kratzte am Hals, dass er den Kragen am liebsten abgerissen hätte. Eisen-Hans schaute sich ausschließlich die Wachleute, den Überwachungsraum und den Pausenraum an. Die Räume waren natürlich nicht frei zugänglich. Immer, wenn jemand den Raum betrat oder verließ, warf er einen Blick hinein. So bekam er bald einen Eindruck der zur Verfügung stehenden Sicherheits-Tech. Standard. Nichts besonders.
Im Quartier
Zurück im Quartier besprachen sie ihre Erkenntnisse.
“So, Chummers, was wissen wir?” fing Nebraska an.
“Magisch ist die Kunsthalle kaum gesichert. Watcher patrouillieren außen um das Gebäude. Nachts auch im Gebäude. Ich konnte keine Auslöser für Elementare oder ähnliches entdecken.”
“Sehr gut. Die Wachen?” Auffordernd sah sie Eisen-Hans an.
“Drek! Die sind langweilig. Keine Herausforderung. Stehen oder sitzen gelangweilt herum. Haben Betäubungswaffen und Knüppel. Viele Rentner. Museum halt.”
“Sehr schön. Die Überwachungs-Tech ist auch unterer Standard. Offen sichtbare Kameras, hier und da versteckte Kameras und einige Sensoren konnte ich entdecken. Die sind mit Sicherheit für die nächtliche Überwachung.” Nachdem sie kurz Luft geholt hatte, führte sie weiter aus.
“Kommen wir zur Nachtwache. Was wissen wir darüber?”
“Askennen konnte ich, dass normalerweise nur zwei Wachleute in der Nacht Dienst schieben. Seit die Himmelsscheibe vor Ort ist, sind es drei. Die Säule, auf der die Himmelsscheibe ausgestellt ist, hat eine magische Sicherung, die auch über Tag zum Teil aktiv sein dürften. Der Glaskasten über der Himmelsscheibe scheint nur Glas zu sein.”
“So ka. Nachts sind also keine Besucher und wenig Wachen vor Ort, allerdings sind die Sensoren aktiv. Können wir diese hacken?”
“Wenn wir ins Gebäude kommen, dann ja. Die gesamte Tech ist nicht mit der Matrix verbunden. Drek, ey! Die haben nicht mal einen Zugang für Gäste. Das ist so Oldschool.”
“Ach ja, die ADL und ihr Neuland. Herrlich.” grollte Nebraska.
“Wie wäre es, wenn wir den Diebstahl bei Tage ausführen?”
Einige lange Augenblicke sagte niemand der Drei etwas. So verrückt der Vorschlag klingen mochte, so interessant konnte er sein.
“Du meinst …“
“Genau, den Schutz der Besucher ausnutzen. Die Ablenkung der Wachen. Die reduzierten aktiven Systeme. Vielleicht bekommen wir die Kleidung der Wachleute oder stellen die Putzkolonne dar.”
“Oder beides.” ergänzte Metzger nachdenklich.
Kunsthalle zu Kiel
“Ist Ihnen nicht gut, der Herr?” Besorgt schaute der Wachmann zu dem schwankenden Mann.
“Nein, geht schon. Danke.” Unsicher lächelte der Angesprochene dem Wächter zu, um dann fast in die Knie zu gehen. “Oh, mein Kreislauf. Ich habe wohl zu wenig getrunken.”
Andere Besucher schauten den Mann irritiert an.
Da passierte es. Torkelnd und nach Halt suchend stützte er sich gegen einen Glaskasten. Dieser war nicht für Belastung gemacht und verschob sich. Ein weiteres Abstützen, etwas magische Unterstützung und der Kasten gab nach.
Laut klirrend und scheppernd fiel er in tausend Scherben in sich zusammen.
“Ich blute! Hilfe!” rief der schwankende Mann. Er war neben der Säule, die unter dem Glaskasten war, zusammengesunken.
“Ich kann helfen!” rief eine junge Dame in gehobener Kleidung und hockte sich neben den Verletzten. Dieser schüttelte sich wie in einem Krampfanfall und stieß die helfende Dame gegen die Säule.
“Huch!” rief sie noch, da kippte die Säule und die darauf liegende Bronzeplatte fiel.
“Hab sie!” grollte der kräftige Wachmann, der dem ersten Kollegen zu Hilfe kam und grinste stolz.
“Pass bloß drauf auf! Gibt richtig Ärger, wenn da auch nur ein Kratzer drankommt. Ich ruf einen Krankenwagen und den Chef.”
“Geht klar.” kam prompt die Antwort und der Wachmann wickelte die Bronzeplatte in ein Tuch ein. Inzwischen waren sie von den wenigen Gästen umringt und unsicher stand der kreidebleiche Mann auf und ging zum Ausgang.
“Ich muss was trinken. Dringend”, stammelte er.
“Kommen Sie!”
Zu dritt drängten sie sich durch die Gaffenden und ein Mann mit Besen und Schaufel fing an, die Scherben aufzufegen.
Noch während die Scherben aufgeklaubt wurde, wurde er gefragt, wo denn nun der kranke Mann sei.
“Weiß nicht. Kam eben erst.”
“Und WO ZUR HÖLLE IST DIE HIMMELSSCHEIBE?”
“Weiß nicht, kam eben erst.”
“DREK! ALARM!” brüllte der Wachmann in sein Funkgerät und rannte zum Ausgang.
Da wurde es in der Halle etwas dunkler.
“Was ist denn jetzt?” rief er quer durch den Saal.
Ungerührt fegte der Reinigungsmann die Scherben auf. “Weiß nicht.”
Ein anderer Wachmann kam aus dem Pausenraum.
“Wir haben Stromausfall. Alles tot. Im Wachraum auch.”
“DREK! Ruft die Polizei! Schnell! Und riegelt alles ab!”
Währenddessen richtete der Reinigungsmann die Säule auf, putzte sie gründlich ab und fegte die großen Scherben auf. Um die kleineren konnten sich die Reinigungsdrohnen kümmern, die er nun losschickte.
Am Hinterausgang hielt ihn niemand auf. So entsorgte er die Scherben in einem Glascontainer.
Zwei Stunden später.
“Die haben das schlau eingefädelt und an alles gedacht. Dass muss ich schon sagen.”
Die Kriminalpolizisten schaute sich die ersten Ergebnisse an. Himmelsscheibe weg, Verdächtige weg, Spuren weg.
“Ja, stimmt. Der falsche Reinigungsmann hat sämtliche Spuren abgewischt und die wenigen Blutstropfen,” etwas verächtlich betonte er das Wort, “waren Kunstblut.”
“Genau. Und die Reinigungsdrohnen waren so präpariert, dass sie die kleineren Scherben ebenso gereinigt haben. Alles quasi durchgespült.”
“Ja. Und selbst im Glascontainer hat es eine Reinigungsexplosion gegeben. Sowas habe ich echt noch nicht erlebt.”
“Und damit es nicht zu einfach wird, sind sämtliche Aufzeichnungen gelöscht. Der falsche Wachmann, angeblich eine spontane Unterstützung aus einem anderen Museum, hat es erfolgreich geschafft, dem alten System einen Virus einzuschleusen. Nichts mehr da. Das System ist wie leergefegt.”
“Die Täter sind seelenruhig durch das Restaurant gegenüber, runter ans Wasser, rein in ein Boot und weg.”
“Da setzen wir an! Ganz Kiel ist so überwacht, da müssen die auf irgendwelchen Kameras auftauchen.”
“Ist schon veranlasst.”
“Lassen Sie auch unsere Zauberwirker los. Dieses Bronzeding sollte ja zu finden sein.”
“Jawohl.”
Vergeblich. Zum einen rückten nur wenige ihre Kamera-Daten raus und zum anderen zeigte ein Video des Restaurants, wie sich das kleine Motorboot kurz nach dem Ablegen in Luft auflöste.
Dietrichsdorf
In einer kleinen Wohnung in Dietrichsdorf stießen drei Personen auf ihren Coup an. Erfolgreich hatten sie ihren ersten größeren Run gemeistert und damit den Grundstein für ihre Reputation gelegt. Auf dem Tisch lag die schwere Bronzeplatte in einem speziellen Koffer und somit für die drei nicht sichtbar. Dass war ihnen egal.
Zufrieden schickten sie ihrer Schmidt die Erfolgsmeldung. Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Noch am gleichen Abend wurde die Himmelsscheibe von Nebra auf dem Parkplatz eines Einkaufscenters gegen einige Credsticks getauscht.
“Glückwunsch an Sie drei. Das haben Sie erfolgreich gemeistert. Sollte ich wieder etwas in dieser Gegend zu erledigen haben, dann frage ich Sie.”
Mit diesen Worten verschwand Frau Schmidt und die Feier ging erst richtig los.
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