Forrest
Forrest zog sich seine rote Synthlederjacke über. Sie war sein Markenzeichen und brachte ihm Glück. Bis heute.
Frohlockend verließ er seine momentane Unterkunft, eine einfache kleine Wohnung in einem mehr oder weniger guten Stadtteil auf dem Ostufer von Kiel. Zu seinem Leidwesen wohnte er über einem Fischladen. Er mochte keinen Fisch und noch weniger den Geruch. Heute jedoch grüßte er Marita, die resolute Inhaberin und seine Vermieterin fröhlich.
Marita
Marita wunderte sich sehr über den geradezu aufgekratzten Forrest. So kannte sie ihn gar nicht. Meist machte der Mann mit der roten Synthlederjacke und dem Gesicht einer Ratte einen weiten Bogen um ihre Ladentür. Nen Fischkopp, der kein Fisch mag. Komischer Kauz.
Sie winkte ihm zu und kümmerte sich lieber um die Lieferung frischen Fisches, die Hansen gerade gebracht hatte. Hansen, dass war ein Mann! Nicht lang schnacken, anpacken! Das war seine Devise. Wenn er sie mal anpacken würde …
Hansen
Hansen schleppte mit seinen Jungs, wie er seine Mannschaft nannte, die Fischkisten in Maritas Laden. Dabei wich er diesem Forrest aus. Er mochte den Flegel nicht. Scheute die Arbeit, wo es nur ging und die Leute, mit denen er sich rumtrieb, waren Hansen auch nicht geheuer. Umso überraschter war er, als er seine Kiste abstellte, mit Marita ein paar Worte wechselte und Forrest breit grinsend eine Kiste in den Laden schleppte.
„Zur Feier des Tages! Einen wunderschönen Tag noch!“ rief er und verschwand.
Lucia
Egal wer da gerade so penetrant um diese verfragged frühe Uhrzeit zu klingeln wagte, er würde es bereuen, Drek verdammter! Lucia würden den frühen Vogel eher braten als ihn was fangen lassen und hatte außerdem einen wunderschönen Traum vom traumhaft blauen Meer, weißer Sandstrand, ein Schirmchen-Drink und einem starken braungebrannten RRRRING! War der Traum aus.
Was zur Hölle? Ich bring dich um! Wer auch immer du bist!
Müde schlurfte sie zur Tür und riss diese auf.
„Lucia, Schätzchen, schön dich zurgs!“
All die netten Worte konnten nicht über seine geölte Zunge kommen da Lucias Hand seine Kehle umschloss, als wäre sie in eine Schraubzwinge geraten.
„Drek! Ich hasse Dich! Was willst du, Forrest?“
Da der Mann in ihrer Hand kaum noch atmen konnte und am Türrahmen festgenagelt war, gab er nur ein schwaches Krächzen von sich und wedelte mit der Hand. Sein Gesicht verfärbte sich bereits.
Sie ließ ihn frei, ging in die Küche und machte sich einen Soykaff. Forrest rang noch eine Weile mit sich und der Luft, die endlich wieder seine Kehle durchdrang.
Wortlos hielt sie ihm einen Becher hin und nickte auffordernd.
„Hab ‘nen Auftrag“, krächzt er. „Ganz einfache Extraktion. Für ne neue Techbude aus aus, hab ich vergessen. Ist auch egal. Rostock oder Wismar oder so.“
„Warum einfach? Was soll ich tun?“ Lucia war im Anblick des Leidenden und nach den ersten zwei Schluck Soykaff deutlich milder gestimmt.
„Ist so’ne Lehrerin von der MTFH, weißt du? Nix wildes also. Sie und ihre Tochter bringen wir bis Kiel Leuchtturm und bekommen das Geld. Lockerer Job.“
„Locker ist es nie, wenn es locker heißt. Wenn sie ein Kind hat, ist das zusätzliche Last, So Ka?“
„So Ka! Bist du dabei? Geht in wenigen Tagen los.“
„Ich denk drüber nach. Verpiss dich!“
„Jau, ich frag Flic und Flac. Deren Muskeln können wir brauchen.“
Etwas wacher schaute Lucia aus dem Fenster und sah Forrest über die Straße gehen, einen riesigen Typen anrempeln, der um eine Ecke trat und dann losflitzen, wie sie ihn nie flitzen sah. Der Riese lief ihm direkt nach.
„Drek! Hoffentlich verpatzt er es nicht wieder.“
Timotheus
Timotheus hatte schlechte Laune. So richtig schlechte Laune. Seine Chefin Roswitha hatte ihm gerade den Arsch aufgerissen, dass die Bande nicht spurte und einen Auftrag vermasselt hatte. Einen wichtigen Auftrag. Das ließ sie an ihm aus und er sollte die Bande scheuchen. So in finsteren Gedanken ging er aus der Gasse auf die Straße, zumindest wollte er das, da rannte ihm ein Norm in die Quere. Was bedeutet, dass der kleine Norm gegen ihn rannte, als sei er gegen einen Baum gerannt. Der Troll schaute so grimmig nach unten, dass Wasser bei dem Blick gefroren wäre. Dann hellte sich seine Mine auf. Ein böses Grinsen machte sich in seinem mit Hauern bewährten Gebiss breit.
„Forrest! Gut, dass ich dich treffe. Du schuldest HEY!“
Timotheus kam kaum mit dem Blick hinterher, so schnell war Forrest mit panischem Blick losgeflitzt. “Ach man!”
Er rannte hinterher.
Susi
Susi saß gerade hinter dem Empfangstresen ihres kleinen Hotels, als die Tür aufgeworfen wurde, die Glocken wild bimmelten, die Tür gegen den Stopper knallte und hinter der eiligen Gestalt in roter Jacke wieder zuschlug.
„Morgen, Susi!“ hörte sie noch, da war der Typ schon an ihr vorbei und zur Küche raus. Sie überlegte noch, ob Forrest, so hieß ihr Ex, eilig auf Klo oder was essen musste, da schepperte die Tür erneut, diesmal lauter, irgendwas fiel von der Wand und es klang so, als wäre eine Scheibe gesprungen. Die Glocken wollten klingeln, doch ein riesiger Kopf schob sich unter dem Türrahmen durch. Der riesige Kopf gehörte zu seinem riesigen Troll mit riesigen Hörnern die den kleinen Türglocken den Gar aus machten. Kurz sah es lustig aus, wie die Glocken an den Hörnern hingen, da riss der Troll sie auch schon ab und brummte ein „Tschuldigung. Wo isser hin?“
Susi schaute ihn noch mit weiten Augen an und zeigte dann die Treppe hoch. Leider fiel nun laut hörbar die Außentür der Küche ins Schloss und der Troll ging mit den grollenden Worten „Netter Versuch!“ zur Küche und entschwand.
Die Glocken legte er noch sorgfältig auf dem Tresen ab.
Dietrich
Dietrich lebte schon lange als Squatter in Ellerbek. Alle kannten ihn, alle mochten ihn leidlich und viele gaben ihm von dem wenigen, was sie hatten. So gut er konnte, half Dietrich auch aus. Leider war es mit seinen geistigen Fähigkeiten nicht weit her. So traute man ihm gerade zu, Dinge von A nach B zu bringen, mal ein Auto zu waschen oder den Bürgersteig zu fegen.
„Didi! Halt ihn auf, wenn du kannst. BITTE!“
„Forrest! Wohin so eilig?“ Doch Forrest war schon an seinem momentanen Schlafplatz vorbeigeflitzt. „So schnell war der noch nie.“ Da sah der Squatter Timotheus wie ein wütendes Dampfross aus der Tür des Hotels kommen und auf ihn zu eilen. Didi überlegte nicht lange und streckte sein Bein aus.
„AAAAAAAARGH!“ schrie der Troll und legte sich lang hin. Es war, als wäre ein Baum gefallen.
„Ups!“ sagte Didi entschuldigend und dann legte sich ein Schatten über ihn. Der Troll stierte ihn mit wütendem Blick von oben herab an.
„Sorry, Chummer. War keine AAAAAA“
Der Troll hob ihn hoch als sei er eine Puppe, schüttelte ihn durch und warf ihn in die Mülltonne. Gerade wollte er sich erneut auf den armen Didi stürzen, als er hinter sich Susi hörte.
„Lass es, Timotheus!“
Langsam drehte der Troll sich zu der kleinen Frau um und staunte nicht schlecht. Sie hielt eine Schrotpistole in der Hand und hielt sie locker in seine Richtung.
„Reicht für heute, nicht wahr? Oder soll ich Roswitha sagen, dass du meine Tür zerstört und diverse Essen ruiniert hast?“
Grunzend stellte Timotheus Dietrich wieder auf den Bürgersteig, etwas Müll fiel zu Boden. Grunzend zog der Troll ab und verschwand in die Richtung die Forrest genommen hatte.
„Komm, Didi, ich geb ein Frühstück aus.“
Sie half ihm auf. „Oha! Und eine Dusche und Wäsche waschen ist wohl auch wieder dran.“
„Danke, liebe Susie. Bist ein Schatz. Ist das Essen denn nicht ruiniert?“
„Ach wo, Timotheus hat nur etwas Besteck und eine Pfanne runtergeworfen und die Türglocken abgerissen. Halb so wild. Da ich Roswitha kenne, hat die Drohung zum Glück geholfen.“
Gemeinsam gingen sie durch den Lieferanteneingang ins Hotel.
Pastor Lehmann
Pastor Lehmann bereitete gerade die Messe vor und stellte neue Kerzen auf, rückte Gesangsbücher zurecht und stellte Bänke und Stühle gerade, als die Flügeltür des Gemeindehauses aufgeworfen wurde. „Pastor!“ rief ein Mann in einer roten Lederjacke und blieb am Griff hängen. „Oh nein! Meine Jacke! Drek! Verfluchter Drek!“
„Mein Sohn, ich muss schon bitten!“
„Pastor, wo geht es hier raus? Es eilt!“
Nervös schaute der komische Mann in der nun eigerissenen roten Jacke aus dem Fenster.
„Nun, du kannst hier nach hinten raus. Allerdings ist das nur unser gemütlicher Hinterhof ohne Ausgang.“
„Drek!“
Da flogen beide Türflügel auf und hakten laut protestierend in die Haken am Boden. Heller wurde es trotzdem nicht. Ein riesiger Troll stand in der Tür.
„Wo isser hin?“ grollte der.
„Ich habe ihm gesagt, dass er dort hinten raus kann und oh!“
Der Troll schob den Pastor beiseite und rannte zum hinteren Ausgang.
Ruhig ging der Mann im Talar zur Flügeltür, hakt sie aus und wünschte dem rotgekleideten Mann einen schönen Tag, der hinter der Tür kaum zu atmen wagte.
Johanna
Johanna ging gerade zu ihrer Tagschicht im Krankenhaus, als ein Mann in einer roten Jacke, ah, eine Lederjacke, oh, der Ärmel ist eingerissen, mit pfeifendem Atem und gehetztem Blick an ihr vorbeiflitzte. Sie wusste nur, dass er hier irgendwo hauste und nicht zu besten Umgängen gehörte. Der Troll allerdings, der hinter ihm her stampfte, war gar kein guter Umgang und sie hoffte, dass ihr Sohn Karl mit beiden nie verkehren würde. Da ihr der Lederjackenmann allerdings leidtat, entschied sie, dass es Zeit wäre, die Mülltonnen rauszustellen.
Gerade in dem Augenblick, als der Troll an ihrer Einfahrt vorbei dröhnen wollte. Dann dröhnte es wirklich. Der ohnehin schon dreckige Mantel des Trolls wurde nun noch dreckiger. Der gesamte Inhalt der Mülltonne samt Tonne verfing sich darin. Der Troll selbst konnte nicht mehr ausweichen und rollte samt Tonne über den Bürgersteig.
„Oh nein! Das tut mir aber leid! Haben Sie sich weh getan?“ fragte Johanna besorgt. Als Krankenschwester und Bewohnerin dieses Stadtteiles, war sie den Umgang mit Metas gewohnt.
„DREK!“ brüllte der Troll und richtete sich wütend auf. Johanna blieb ruhig stehen und hoffte, der Troll würde sich noch beruhigen.
„DIESE RATTE! ICH BRINGE IHN UM!“
„Brüll mal nich so rum, junger Mann!“
Johanna war froh, als sie Hansens Stimme hinter sich hörte. Der Fischer war mit der Lieferung in Maritas Laden gerade fertig geworden.
Den Müll aus seinem Mantel schüttelnd eilte der Troll hinkend davon.
„Mutig, mien Deern.“ Sagte Hansen zu Johanne die erleichtert aufatmete. „Jo, Hansen.“
„Ist Forrest das wert?“
„Forrest heißt der rote Flitzer? Kenne den gar nicht.“
„Hast nix verpasst.“
Flic und Flac
Flic und Flac waren zwei junge Orks, die für ihre kräftige Statur sehr athletisch waren. Gerade trainierten sie mit alten Treckerreifen als Gewicht, da stürmte ein Norm in einer roten Synthlederjacke in ihren Hof.
„Flic! Flac! Ich habe einen Auftrag für uns! Könnt ihr mich schnell verstecken? Timotheus ist hinter mir her.“
Nur kurz überlegten die Orks und warfen den eiligen Norm mit dem pfeifenden Atem und der schrecklichen Lederjacke in einen Stapel Treckerreifen.
Da stürmte der Troll auch schon heran und schnaubte nicht nur vor Wut. „Wo ist diese Ratte?“ grollte er laut, dass einige Tauben davon flatterten.
„Du meinst Forrest? Chummer, ey, der ist hier rein, da die Leiter hoch und über die Mauer weg. Kein Plan was HEY!“
Der Troll schob den Ork mühelos bei Seite und rannte zur Leiter. Die Leiter war allerdings aus Holz und für Norms und vielleicht noch kleinere Orks gemacht. Nicht für Trolle. Die erste Sprosse hielt noch knarzend. Die zweite gab krachend nach.
„Drek!“ fluchte der Troll zog sich hoch und schaute über die Mauer. Da er nichts entdecken konnte, drehte er sich zu den Orks um.
„Wo geht das da hin?“
„Nachbarhof. Hat einen Ausgang zur Straße. Kannst rüberklettern oder kurz um den Block rum.“
Timotheus entschied sich fürs Klettern und wuchtete seinen riesigen Körper über die Mauer. Den Rums konnte sie noch hören, etwas rollte klappernd davon und schwere Schritte entfernten sich eilig.
Nach einer kurzen Pause schaute Flic über die Mauer und gab Entwarnung.
„Der ist erst mal weg. Kannst rauskommen, Forrest.“
„Drek! Ich bin fertig. Habt ihr was zu trinken?“
Flic und Flac mussten ihrem Chummer einiges an Wasser bringen, bis er in der Lage war zu reden.
Und schnell waren sie überredet, die einfache Extraktion vorzunehmen. So eine oberschlaue Lehrerin, Schule hatten sie nie gemocht, wäre eine einfache Sache und leicht verdientes Geld.
Forrest
Zufrieden machte sich Forrest auf den Weg zu seiner Unterkunft, als er jäh einen Schraubstock um seinen Arm fühlte. Dieser Schraubstock hatte fünf Finger einer Hand, die größer als sein Kopf war. Diese Hand gehört Timotheus, der bald doppelt so groß wie er war und sehr sehr wütend aussah.
„Hey, Timotheus! Schön dich zu“ konnte er noch sagen. Dann war’s aus.
Lucia
Lucia war inzwischen so neugierig auf den Job, dass sie nach Forrest suchen wollte. So ging sie zu Flic und Flac. Fast angekommen, passierten zwei Dinge. Forrest kam aus dem Hof und Timotheus, dieser riesige Troll von Roswitha, kam um die Ecke und brauchte nur noch zuzupacken. Hilflos musste sie mit ansehen, wie er Forrest packte und zuschlug. Forrest kippte aus den Latschen und der Troll hielt den Ärmel der roten Synthlederjacke in der Hand und warf ihn verächtlich weg.
„Lass ihn in Ruhe!“ rief sie dem Troll zu, der jedoch schaute sie nur verächtlich an, wollte Forrest aufklauben, da stutzte er.
Eine Krähe saß auf einem Straßenschild und schaute ihn an.
Gandalf
Gandalf war von Ingeborg gebeten worden, zu schauen, was da draußen los sei. Und Gandalf flog los, setzte sich auf ein Straßenschild und schaute still auf den Troll. Dieser starrte Gandalf an, ließ von dem ohnmächtigen Menschen am Boden ab und richtete sich vorsichtig wieder auf. Nun schaute er zu Gandalf herauf. Gandalf schaute zurück.
Die Menschenfrau schaute verwirrt zwischen beiden hin und her. Das konnte Gandalf wahrnehmen. Was die Menschenfrau nicht wahrnehmen konnte, war der Wind, den Gandalf hervorbrachte. Es war nur wenig Wind. Doch bisher war es den ganzen Morgen windstill gewesen und nun weht eine angenehme kühle Brise die Straße herunter und dem Troll ins Gesicht. Blätter begannen sich im Wind zu bewegen. Einige trockene Blätter raschelten. Gandalf sah, dass der Troll sich schüttelte und einen Schritt zurückwich.
Und plötzlich panisch davonrannte, als etwas Kleines um seinen riesigen Kopf schwirrte.
Ingeborg
Ingeborg hatte durch Gandalfs Augen gesehen, was dort vor sich ging. Zwar kannte sie den Mann in der roten Lederjacke nicht, doch die Frau kannte sie vom Sehen her und wusste, dass sie Riggerin war. Und soweit sie wusste, ganz in Ordnung. Da also der Mann am Boden ein Freund von der Frau war und der Troll anscheinend nicht, beschloss sie, zu helfen.
Sie beschwor einen Watcher der wie eine kleine bunte Eule aus einem Märchen aussah. Diese bat sie kichernd um den Troll herum zu fliegen, bis er davonlief. Das tat ihre Watcher-Eule. Alsbald rannte der Troll panisch davon. Ingeborg grinste, rief Gandalf und ihre Eule zurück und zu dritt spielten sie, bis die Eule sich auflöste.
Doktor Müller
Doktor Müller kümmerte sich um Forrest, bis er wieder aus seiner Ohnmacht erwacht war. Flic und Flac hatten ihn in die Praxis geschleppt. Doktor Müller war ein Hausarzt über Tag und nach Feierabend eine Art Streetdoc. Das hatte sich eher zufällig ergeben. Lange Zeit hatte er in mehreren Krankenhäusern als Chirurg gearbeitet um dann eine, wie er dachte, ruhige Hausarztpraxis in einem ruhigen Stadtteil seiner Heimat zu eröffnen. Eines Nachts wurde er Zeuge, wie Runner einen verletzten Chummer aus einem Wagen in ihre Wohnung schleppten. Der Mann blutete aus mehreren Wunden und seinen Chummern war anzusehen, dass sie keine Ahnung hatten, was sie tun sollten. BuMoNa hatte der Mann wohl nicht. So packte Doktor Müller seine Tasche und ging zu den Runnern. Erst wollten sie ihn davonjagen, doch als sie ihn erkannten, ließen sie die Waffen sinken und ihn gewähren.
So wurde er ein Streetdoc und erweiterte seine Praxis um einen kleinen Operationssaal. Irgendwann bekam eine seiner Arzthelferinnen mit, dass da noch was lief und heuerte für diesen Nachtdienst an. Die Nachtschichten wurden besser und in bar bezahlt.
„Drek! Mein Schädel!“ ächzte Forrest und fluchte dann „MANN, meine Jacke! Verdammter Drek! Das war mein Glücksbringer! Was haben Sie damit gemacht, Doc?“
Lucia kam dem Doc zuvor. „Frag lieber, was Timotheus mit dir gemacht hätte, wenn er schon den Ärmel von der Jacke riss, als sei es Papier. Kannst froh sein, dass er nur die Jacke zerriss und nicht deinen Arm gebrochen hat, Chummer.“
Forrest fluchte einige derbe Schimpfwörter und ließ sich dann Schmerztabletten geben.
„Ihr Arm sieht zwar aus, als sei ein PickUp drübergefahren, doch ist das nichts. Ihr Kopf ist so weit in Ordnung und, ja, ich weiß, ja, er tut weh. Sie haben eine Gehirnerschütterung. Dagegen hilft nun Ruhe, Wasser trinken und diese Schmerztabletten.“
Am Empfang wurde es laut. Eine Tür wurde aufgeworfen, eine Arzthelferin rief etwas und die Tür zum Behandlungszimmer flog auf. Timotheus füllte den Rahmen aus und beugte sich durch.
Lucia, Flic und Flac und auch Forrest im Liegen zogen ihre Waffen.
„STOP!“ rief Doktor Müller sehr laut und sehr bestimmt. Alle hielten inne. Alle!
„Waffen runter! Timotheus! Du gibst Ruhe! Hier herrscht Marktfriede! Das weißt du! Auch deinen Arsch habe ich schon mal zusammengeflickt! Im wahrsten Sinne des Wortes. Hier wirst du keinen Unfrieden stiften, So Ka?“
Nur das leise Ticken der Uhr an der Wand war zu hören. Ein Telefon klingelte. Dann schaute Timotheus auf Forrest herab und grollte:
„Vierundzwanzig Stunden hast du Ruhe!“
Dann beugte sich der Troll unter der Tür durch und verschwand. Alle atmeten erleichtert aus und ließen die Waffen sinken.
Roswitha
„Lass ihn erst mal in Ruhe! Er ist es nicht wert und denk an das alte Sprichwort der Klingonen „Rache muss kalt genossen werden!“
„Was sind Klingonen?“
„Egal, kümmere dich um die Bande, Timotheus! Alles andere später.“
Zähneknirschend gehorchte der Troll und ging aus dem Büro.
Roswitha schnaubte verächtlich aus. Timotheus war ein brauchbarer Handlanger. Leider aufbrausend und oft unberechenbar. Als Antreiber ihrer Bande war er nützlich. Für Botengänge und andere dreckige Jobs. Für mehr taugte er nicht. Sie entschied, ihn zu entsorgen, wenn sie ihn nicht mehr brauchen würde. Lange würde das nicht dauern.
Flic und Flac
In der Bude von Flic und Flac besprachen sie das weitere Vorgehen. Forrest warf sich stündlich Schmerztabletten ein und spülte sie mit Bier runter.
„Lucia, du fährst das Boot zum Leuchtturm und zurück. Mehr nicht. Ihr beide, Flic und Flac, sorgt dafür, dass Mutter und Tochter an Bord kommen. Ich werde sie weichklopfen und vorbereiten.“
„Sag mal, Forrest,“ warf Lucia ein, „läuft eine Extraktion nicht normalerweise spontan als Überraschung?“
„Ja, klar. Hier geht es nicht, weil die Göre mitmuss. Aus ihrem Haus können wir sie nicht entführen. So starte ich das mit den Drohbriefen. Das wird schon klappen. Vertrau mir. Ist doch nur eine Lehrerin.“
Flic und Flac schnaubten verächtlich. Lucia zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst.“
„Meine ich. Ein Chummer von mir verwanzt gerade ihre Bude und ihr Büro. Ist ein Schüler oder Student oder wie das da heißt von ihr. Er kann sie nicht ausstehen und hält sich für besser, weil sein Papa irgendwas Hohes bei der Marine ist. So bin ich auf dem Laufenden. Wie gesagt, ist nur so eine schlaue Schnalle. Ich habe ihr ordentlich Angst gemacht. Wird ganz einfach.“
Leuchtturm Kiel
Forrest und seine kleine Gruppe erinnerten sich zu gut an seine Worte, als mehr Laserpunkte auf ihren Oberkörpern und Köpfen leuchteten, als ein Marienkäfer Punkte hat. Als das Hover auftauchte, die Drohnen sie umkreisten und ein junger Leutnant der Marine mit Sturmgewehr auf sie zukam, ihre Extraktionsopfer in den Arm nahm und sie verhaftete. Als eine Orkfrau und ein verdammt jung aussehender Ork, der die Orkrau Mama nannte, sie zu Boden warfen und sie mit Kabelbindern verschnürten. Als seine Marineleute und sogar mit verfluchten MET2000 Söldner sie abführten und nicht gerade sanft in ein Sturmboot warfen.
Doch, das war erst der Anfang. Die Verhöre dauerten Tage. Die Verhöre der Marine waren schon hart. Als dann die berüchtigte Sarah Wagner, die Leiterin des MET2000 Standortes, das Verhör persönlich übernahm, da wünschten sich alle, sie wären in ihrem kleinen Kieler Stadtteil geblieben.
Radio
„Rostock: In der letzten Nacht kam es in Rostock zu einem Einbruch mit Todesfolge in einer kleinen Forschungsfirma. Die Firma, vor drei Jahren gegründet, wollte in den Navigationsmarkt einsteigen und hatte erste Prototypen vorgestellt. Der Polizei zu Folge sind der Gründer des Unternehmens und sein Kompagnon ums Leben gekommen.
Strelasund …“
MTFH – Besprechungsraum Zulu
Nervös rieb sich Fähnrich Dürenkopp die Hände. Noch nie war er in diesem speziellen Besprechungsraum gewesen. Die Teilnehmenden der Lehrgänge wurden normalerweise nie in solche Räume gebeten.
Nun, gebeten wurde er auch nicht. Und er wurde auch nicht aufgefordert, sich zu setzen.
“Fähnrich Dürenkopp! Wir haben den begründeten Verdacht, dass Sie an dem Versuch der Extraktion von Kapitänleutnant Wächter beteiligt waren!
Sie haben ihr Büro, ihre Tasche und sogar ihre Wohnung verwanzt!”
Der Fähnrich wurde blass. Schweiß stand auf seiner Stirn.
“Nein, Herr äh Löwitsch, ich”
“Schweigen Sie!”
Der Mann vor ihm, immerhin der Leiter der Marinetechnischen Abteilung der MTFH und Veteran diverser kritischer Einsätze schob ihm mit eisiger Mine ein Tablet zu.
Darauf lief ein Video, dass den Fähnrich zeigte, wie er kurz die Tasche von Sina Wächter ergriff und dabei etwas hineinfallen ließ. Dann wechselte das Bild und er war zu sehen, wie er das Büro von Frau Wächter betrat und verließ. Beim Betreten hatte er etwas in der Hand. Beim Verlassen nicht mehr.
Weitere Aufnahmen zeigten ihn, wie er über Tag das Haus von Sina Wächter betrat.
“Die Tech, die Sie verbaut haben, haben wir geprüft. Nicht nur, dass auf einigen lächerlicherweise Ihre Fingerabdrücke zu finden war, an allen Wanzen fanden wir Spuren Ihrer DNA. Was unsere Schamanin noch herausfand, möchte ich hier aus pietätsgründen nicht wiedergeben.”
Der Fähnrich krümmte sich unter der Last der Anschuldigungen.
“Ihre Laufbahn bei der Marine der Bundeswehr ist beendet! Ich verweise Sie hiermit von der MTFH! Der Fall wird von der Rechtsabteilung und vom MAD geprüft. Die Herren warten bereits draußen auf Sie. Hm? Ja, die beiden Herren in den schlechtsitzenden Anzügen.”
“Ich protestiere! Mein Vater ist auch bei der Marine! Ich habe gute Anwälte und”
“Die werden Sie auch brauchen! Und nun raus! Ihre Sachen werden Ihnen gebracht und Sie verlassen umgehend das Gelände!”
Als er wieder allein war, trat Sina Wächter aus einem Nebenzimmer.
“Danke, Wotan.”
Ein paar Worte zur Geschichte
Diese Kurzgeschichte ist nicht der Anfang von Shadowrun Kiel. Sie stellt kurz und schnell, oder „Schnell und dreckig“ :-), wichtige Charaktere vor und ich finde, sie ist ein guter Einstieg in die Geschichten von Shadowrun Kiel.